Ostrava soll ja ganz schön sein…

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Schublade auf, Meinung rein, Schublade zu!

So läuft es doch meistens. Nicht wirklich verwunderlich, denn seit der grauen Vorzeit war eine schnelle Beurteilung einer Situation oder des Gegenüber unter Umständen Lebensversicherung. Oder bei den Talentfreien eine direkte Einladung zum Palaeo-Brunch.

Interessant in dem Zusammenhang ist es dann, wenn man von jemandem eine derart andere Meinung hat, dass man – klassisch gesagt – schlicht überrascht wird.

So geschehen in dem Falle dieser Dame. Sie erzeugte in meinem Kopf einen Charakter, den ich – ja, ich weiss Menschen-Vollpprofi – nur aufgrund der betrachteten Bilder von ihr und der unserem Shooting vorangegangen Korrespondenz ableitete.

Schön daneben gelegen, wie sich dann an dem Tag unseres Shootings zeigen sollte. Und das begann dann schon damit, dass ihr Akzent etwas hatte, über das ich mir bis heute nicht zu 100% im Klaren bin, was genau es denn nun war. Aus Mähren stammend, der Stadt Ostrava entflohen, kam sie nun aus Hamburg angereist und steigt aus einem…ja….genau…nicht Skoda, sondern eleganten schwarzen E-Klasse-Mercedes. Nach drei Stunden Fahrt – da Stau mal wieder auf der A7 – schälte sie sich mit luftigem, dekolleté-lastigem Sommerkleid aus der vollbelederten Man-In-Black-Limousine. Nicht eine kleine Knitterfalte im besagten Dress. Braunschweig, 27 Grad, die Frisur hält.

Diese Werbung ging mir durch den Kopf. Sie zog die dunkle Sonnenbrille ein wenig von der Nase, um über den Rand in meine Richtung zu schauen, nur um sich gleich zum Auto zu wenden.

Was für eine arrogante……..begann es durch mein Hirn zu wabern, als sie kaum klischeehafter auf gefühlten 25-cm-Absätzen auf mich zu ging, die Brille abnahm, vor mir stehen blieb und mir die Hand á la Sissi hinstreckte. Wer eine Katze hat, weiss, dass Wegschauen keine Option ist, wenn man den unvermeidlichen Konflikt siegreich beenden möchte.

So nahm ich ihre Hand, den Blickkontakt aufrechterhaltend. Und dann geschah das, was in Drehbüchern Platz finden muss in so einer Szenerie. Denn just in dem Moment, wo ich ihre Hand berührte, machte sie einen tiefen Knicks , beugte ihr Haupt und sprach mit diesem böhmisch-mährischen Deutsch ein sanftes : “ Endlich bin ich da!“.

Klingt absurd? War es in dem Moment auch, denn was hatte ich erwartet? Eine sehr von sich überzeugt, kompromisslose Lady Anfang Vierzig, die weiss, wo der Frosch die Locken hat.

Aber der Nachmittag korrigierte sowohl das Bild von ihr also auch meine etwas zu selbstsichere Meinung, Menschen sofort einschätzen zu können. Denn weit gefehlt, wie ich schon sagte.

Das Tschecho-phone Deutsch ist etwas, das in mir irgendwas anrührt. Sicher eine Sache nicht, denn tappst Du jetzt in die Klischeefalle, wenn du denkst, dass bei dem Aussehen und einem slawischen Akzent die Ampel auf Richtung Eros blinkt.

Aber weit gefehlt. In frühen Kindertagen gab es im Dorf meiner Großeltern eine alte Dame, die aus Böhmen stammte und die natürlich im Windschatten des zweiten Weltkrieges ihre ursprüngliche Heimat verlassen hat, 800 Kilometer weiter westlich bei der breit im „Reich“ gestreuten Verwandtschaft ihren neunen Lebensmittelpunkt zu finden. Und die Dame war ein Phänomen. Was sie nicht über Heilpflanzen, Kräuter oder Pilze wusste, wusste niemand. Mit einer Engelsgeduld und Liebe wurde sie nimmer müde , einem nochmal und nochmal etwas über ein Kraut zu erklären. Und das alles immer mit diesem Akzent.

Somit hörte sich diese Stimme für mich an, wie eine Zeit von strahlendem Hochsommer im Juli, leicht im heissen Wind rauschenden Weiden, zirpenden Grillen und einer unermüdlichen Goldammer, die am angrenzenden Feldgebüsch über die erntereife Gerste sang. Während in unüberschaubarer Blumen- und Kräutervielfalt, sich die Hummeln wie im Schlaraffenland vorkamen und ab und zu der Geruch von dunkelbraun getünchtem Zäunen Telegrafenmasten sich mit dem Duft der Blütenpracht und in Zwiebeln gebratenen Kartoffeln mischte. Und die Stimme meiner Urgroßmutter von nebenan, die mich bestärkte, einfach bei der Kräuterfrau im Garten hinterm Haus im Schatten des großen Apfelbaumes frisch gepflückte Erbsen aus den Schoten mit zu holen. Unbeschwerte Kindheit.

Und alleine dafür gehört auf immer mein Dank der Dame aus Böhmen, die für mich mit ihren Bildern – gänzlich etwas anderes zeigend – jedes Mal aufs Neue eine heile Welt zurückholt mit beim Schreiben dieser Zeilen leicht die Tränen in die Augen treibt.

Nicht, weil diese Zeit längst Geschichte war wie in einem vergilbten Heimatfilm verblasst, sondern vor Freude als Kind die Gnade gehabt zu haben, auf einem kleinen Dorf mit 600 Menschen, voller echter Charaktere und noch mehr Verwandten. Eine Welt voller Geschichten. Einer Welt geprägt vom Miteinander und der Hilfsbereitschaft. Eine Welt, in der man auf dem Weg durchs Dorf jeden grüßte und die Großen auf die Kleinen acht gaben. Zwischen all den Höfen der Großtanten, Urgroßeltern, Omas und Opas, Onkel und Cousins und Cousinen, den Bauern, Schlachtern, Handwerkern und Kühen, Hühner, Kaninchen und Schweinen das sein zu dürfen, was man in dem Alter am besten konnte. Nämlich Kind sein.

Und vielleicht ist es dieses Gefühl der leichten Melancholie und Dankbarkeit, welches am Ende ein Grund ist, warum meine Bilder Bilder sind und nicht nur Fotos.

Danke, Monica. Děkuji ti, má lásko.

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