Ach, Afrika…Episode 2

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Wer ins Ausland reist, kennt das. Passkontrolle. Innerhalb der EU ja meist eher ein Relikt. Bei Ankunft in einem Land, jenseits der vermeintlichen Zivilisation, ein beinahe unvermeidlicher kleiner Staatsakt. Vergleichbar mit einer Endrunde in einem Poker-Match. Vor einem wurden sämtliche Gegner eliminiert, nun ist man selber an der Reihe…..Doch ich greife vor.

Wenn man also nun aus seinem Flieger in Richtung Gepäckausgabe stakst, kommt man erwartungsgemäß erst einmal zur Einreise-Erlaubniserteilungs-Überprüfung. Hat man das Glück, einen Wohnsitz in Namibia zu haben, dann sortiert man sich schnell in die Schlange der sog. „permanent residents“ und ist binnen Minuten „drin“. Der normale Tourist hingegen, füllt im Flugzeug bereits einen kleinen Zettel aus, auf dem er/sie UNBEDINGT das Kreuzchen bei „VISITOR“ machen sollte. Das erspart eine ziemlich nervenaufreibende und schweißfördernde Diskussion, die man sich allein schon wegen der falschen Bekleidung aus kreislauftechnischen Gründen kaum leisten kann. Aber darüber an anderer Stelle mehr. 

Wir erinnern uns kurz. Wir stecken ja immer noch in den, für uns bei Reiseantritt notwendig erscheinenden High-Tech-Outdoor-Klamotten. Beim Darübernachdenken meint man die richtige Schreibweise für die sich gerade zur tragbaren finnischen Ein-Mann-Sauna entwickelnde „Fleece-Jacke“ sei doch besser an die tatsächlichen Ereignisse in Richtung „FLIESS-Jacke“ anzupassen. So FLIESST gerade ein anschwellender Strom aufkommenden Stresses zwischen den Schulterblättern in Richtung Mikrofaser-Hose, die nun gerade dort an der Austrittsstelle der salzige Rinnsale nicht diese unvermeidlichen dunkel fleckigen Feuchtigkeits-Nachweise führen sollte.

Nicht ganz unschuldig daran ist die näherrückende, mit botox-paralysiert-gleicher Mimik dasitzende PASS-KONTROLLE! Eine Frau, die – begegnete sie einem in traditioneller farbenfrohen Tracht – einen spontan an „Mama Afrika“ denken ließe. So ist sie aber das letzte zu bezwingende Bollwerk gegen mein Ansinnen, möglichst schnell in die Flughafenvorhalle und zum antarktischen Außenposten in Gestalt eines verchromten begehbaren Eisschrankes voll verheißungsvoller Kaltgetränke zu gelangen.

Leicht erhöht thront sie da. Trotz meiner fast 2 m Körpergröße muss ich den Blick nach oben wenden. Zum Schreiben hat man eine Fläche knapp unterhalb des Kinns. Wenn man mich fragen würde, hat das Konzept! Genauso wie das Böse-Gucken. Siehe Paulus, einer der coolsten Fährten-Leser und Tourguides am Okavango. Aber auch dazu später mehr.

O.k.! Infight. Jetzt ist Pokerface gefragt. Sich nicht die Nervosität anmerken lassen, ob der Überlegung, dass man vielleicht nett lächeln könnte. Kurzzeitig durchzuckt mich der Gedanke, es mit einem frischen „Good-Morning“ zu versuchen. Bei der Überlegung habe ich schon gleich den ersten Fehler gemacht. Direkten Blickkontakt aufgebaut. Nicht machen! Diese Lady ist definitiv in der Lage einen aufgebrachten Silberrücken niederzustarren. Und wenn ihr das nicht ad hoc gelänge, sollten ihn ihre enormen physischen Ausmaße endgültig vom Revolutionsgedanken abbringen. Denn bei dem Versuch, eine Millisekunde Augenkontakt zu erlangen, übersehe ich ihr Zucken im rechten Zeigefinger, was mir sagen sollte. PASS HER!

Irgendwo aus den Untiefen dieser uniformierten Trutzburg namibianischer Bürokratie entsteht ein Geräusch, dass ich als das Wort „Passport!“ wieder zu erkennen glaube. Das Ausbleiben einer Wiederholung des Geräusches und mein reflexartiges Ablegen des geforderten Passes geben mir im Nachhinein die Bestätigung wenigstens an der Stelle richtig reagiert zu haben.

Sie blättert im Pass. Starrt mich aber dabei an. Ertappe mich dabei, wie ich sie anstarre. Sie schwitzt nicht. Sie schwitzt einfach nicht!! Und ich bin mir sicher, dass sie mein schweißnasses Gesicht dahingehend interpretiert, dass ich etwas zu verbergen habe. Sie starrt intensiver. Und wie. Und blättert. Weiter. Mir war gar nicht bewusst, wie viele Seiten so ein Reisepass haben kann? Plötzlich reitet mich der Wahnsinn und mit dem Hang zur todesnahen Grenzerfahrung spreche ich sie an, ob irgendetwas nicht stimmen würde. Dessen nicht genug, beende ich in einen Anfall von echter Todessehnsucht die Frage mit hochgezogener Augenbraue und kröne das ganze mit einem einseitigen Lächeln. Ich bin mir ja sicher, dass alles in Ordnung ist.

Doch weit gefehlt. Natürlich ist NICHTS in Ordnung. Ein neuerliches – und vom ersten abweichendes – Geräusch entspringt der mahagoni-eingefassten Weiblichkeit vor mir.

Fragezeichen sind der Dame in jahrelanger Übung wohl abhanden gekommen, so dass sie auch keine Erhebung am Ende ihres Satzes benötigt. Germanisten mögen mich korrigieren, wenn ich das Wort Satz in dem Zusammenhang benutze, denn ein einzelnes Wort ist doch kein Satz, oder? 

Naja, jedenfalls quillt mir das Wort „FORM!“ entgegen. Meine souveräne Maske beginnt zu bröckeln. Da ich nicht unmittelbar reagiere, außer dass neben der einen Augenbraue noch die zweite hochschnellt, wiederholt sie sichtlich genervt das Wort.

THE FORM!..Oha….zwei Worte. Jetzt meint sie es ernst. Aber welche Form meint sie??? Sie reißt die Augen auf, lässt sie zu beängstigenden Schlitzen zusammenfahren und atmet mit einem Seufzer aus. Kurzzeitig bin ich abgelenkt von den anatomischen Phänomenen, deren Zeuge ich gerade wurde.

Ich zwinge sie zur Bewegung. Ein völlig unbegründetes triumphales Gefühl stellt sich ein, welches im selbem Augenblick atomisiert wird, als ich beobachte, wie ihre Hände die Vorderkante des Stempel-Throns umfassen und sie sich nach vorn zieht und sich dabei zu voller Größe aufrichtet. Mit einer Bewegung, die ihre Ausmaße Lügen strafen, schnellt eine Pranke von oben herab und reißt mir den mittlerweile leicht schweißnassen kleinen Zettel aus meiner Hand. Aus meiner anderen Hand. Aus der Hand, in der NICHT der Pass war.

Kleiner Einwurf an der Stelle. Im Englischen meint „form“ ein Formular, welches es aus diversen Anlässen auszufüllen galt. Das im Flugzeug verteilte kleine Zettelchen beinhaltet dann lediglich den Ort des Verbleibs im Land, den Namen, die Passnummer UND – ganz entscheidend – den Grund des Besuches. Deswegen „visitor“. Auch wenn man als Student für ein Jahr dort einreisen will, um seine Doktorarbeit zu machen. „VISITOR“. Das nötige Aufenthalt-Visum holt man sich dann unmittelbar bei der Deutschen Botschaft in Windhoek. Das dauert in der Regel 3 bis 5 Tage und kostet nix. Vorheriges Beantragen bei der Namibianischen Botschaft ist teuer, meistens sinnfrei, weil nicht von Erfolg gekrönt und extrem zeitaufwendig. Das kann bis zu 9 Monate und über 100 Euro dauern.

By the way. Der 2003 eingereichte Antrag für ein Arbeitsvisum ist bis heute unbearbeitet geblieben. Aber was rege ich mich auf. Der Kölner Dom war auch erst nach 700 Jahren fertig.

THE FORM! Bellt es mir von über mir. Kopfschüttelnd sinkt die Person auf einen nicht ersichtlichen Sitzplatz zurück wie ein Fesselballon, dem das Brennergas nach der Landung ausgegangen ist. Mit chirurgengleicher Akribie sucht sie nach DEM Kreuzchen an der richtigen Stelle. Und dann geschieht alles blitzschnell. Man sieht fast nicht was passiert, nur das Echo des herabdonnernden Stempels schwingt noch im eignen Trommelfell nach. Während man seinen Pass vor die Nase gebatscht bekommt ,wird man mit einem Blick auf den Pass und einer folgenden Augenbewegung in Richtung Durchgang zum Gepäckband weitergeschickt. Bitte sofort Pass nehmen und schnell weggehen! Nicht irritiert stehen bleiben.! Ansonsten zischt mit raubtierartiger Geschwindigkeit die Hand der Dame am Ohr vorbei zum bereits, vom hinter einem wartenden erfahrenden Einreisenden, hoch gereichten Pass, gefolgt von einem „NEXT!“, das keine Zweifel offen lässt, dass man dort, wo man gerade steht, gänzlich unerwünscht ist.

Etwas traumatisiert taumelt man – hart an der Grenze zum Dehydrieren, in Richtung Tür zur Gepäckausgabe, die mich mehr an die Schwingtür-Szene mit Groby als Kellner in der Sesamstrasse erinnert als an einen offiziellen Durchgang auf einem INTERNATIONAL AIRPORT. Das Loch in der Wand spuckt unmittelbar vor einem auf ein rudimentäres Rollband Koffer, Kisten und sonstigen Flugzeuginhalt aus. Hektisches Gewusel entsteht, wie es immer an der Stelle entsteht. Und man wurschtelt sich doch wieder nach vorne durch, obwohl man sich zum wiederholten Mal vorgenommen hatte, erst mal die anderen ihr Zeugs wegnehmen zu lassen. Koffer abgreifen und dann nix wie raus. Wäre da nicht Hürde Nummer zwei. Gepäckkontrolle. Seltsam an der Stelle, weil man ja einreist, aber der junge Mann dort nimmt, trotz 100 Kg weniger als seine Kollegin, seinen Job nicht minder ernst. Übereifrig hält man ihm den Pass unter die Nase, was lediglich zu Verwirrung führt und er einen völlig entgeistert beinahe zu der Dame am Einreise-SOCKEL zurückschicken will. Dann stopft man am besten schnell mit peinlich berührtem und gesenktem Blick sein Handgepäck in einen Kasten, durch den ein Rollband läuft. Man fragt sich kurz, was das für ein Gerät sein soll, dass lediglich aus einer mattgrau lackierten, klapprig verschraubten Weissblech-Kiste besteht, aber man gewöhnt sich am besten JETZT schon mal das Fragen überflüssiger Fragen ab.

Zumal das sanfte, verheißungsvolle Summen des Getränkeschrankes schon so gut wie hörbar ist. Und NICHTS, aber auch gar nichts ist großartiger nach Momenten wie diesen als das Zischen beim Öffnen des Kronkorkens und Glucksen der ersten Zentiliter im Hals einer Bierflasche, wenn man sie genüsslich an die Unterlippe setzt und den Kopf in den Nacken legt.

Jetzt nur noch raus und los zum Auto. Auf die Piste.

Doch das ist eine eigne Geschichte wert.

To be continued…

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